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Schellenbaum
Unbezeichnet, 1. Viertel 19. Jahrhundert
Der Halbmond oder Schellenbaum in der 'Türkischen Musik' diente dem Musikmeister oder Tambour zur effektvollen Perkussion bei öffentlichen Auftritten von militärischen Musikkorps.
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Detail aus dem Wandschmuck des Blauen Saals im Sondershäuser Schloss
Unbezeichnete Fotografie, 2005
Signalgeräte und Musikinstrumente waren
– visuell und performativ –
unverzichtbar in der höfischen Repräsentationskultur
des mittleren und ausklingenden 18. Jahrhunderts.

Hautboisten und Janitscharen

Höfische Funktionsträger der frühen Neuzeit spielten eine enorme und bis heute unterschätzte Rolle in der Genese des modernen Orchesters. So gehen etwa die Pauker und Trompeter des Orchesters auf die Signalisten des höfischen Hofmeisteramtes oder die Hornisten auf die Jäger des höfischen Jägermeisteramtes zurück.

Eine ähnliche Bedeutung hatten die Musikkorps aus dem Umkreis höfischer und adeliger Sicherheitsdienste, die oft als Trabanten besoldet wurden, sofern sie nicht in den Krieg geschickt wurden. Ihre Ensembles wurden meist als Harmoniemusiken bezeichnet, ihre Angehörigen als Hautboisten oder Hoboisten. Ihre Instrumente waren dabei nicht nur Oboen, sondern Blasinstrumente jeder Art und Verfügbarkeit. Als Standardbesetzung der Harmoniemusik etablierte sich am Ende eines variantenreichen Entwicklungsprozesses ein Quintett aus Flöte, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott, die wahlweise einzeln oder paarweise besetzt sind.

Darüber hinaus wurden begabte Hautboisten, deren Dienstequipment immer weniger als Signalgeräte und immer stärker als Musikinstrumente wahrgenommen wurde, auch mit Streich- oder anderen Instrumenten betraut. Eine besondere Mode erlebten die 'Janitscharen-' oder 'Türkischen Musik' in der Phase vom späten 18. bis in das erste Viertel des 19. Jahrhunderts. Das Instrumentarium à la turca bestand aus effektvollen Idiophonen, zu denen sich in der Tradition des 'Klingenden Spiels' der frühneuzeitlichen Infanterie, also der Signalgeräte Pfeife und Trommel, noch die Piccoloflöte gesellte. Sofort wiederzuerkennen war eine Janitscharen-Banda bereits mit Triangel, Becken und großer Trommel. In Fällen besonders aufwändiger Ausstattung trat noch ein Halbmond oder Schellenbaum hinzu.

Kompositorische Werke für Harmoniemusik können hinsichtlich ihrer Funktion und Aufführungspraxis deutlich unterschieden werden. Spohrs Quintett op. 52 ist schon an seiner Besetzung für Flöte, Klarinette, Horn, Fagott und Klavier als Werk für die höfische Kammer zu erkennen, während sein Notturno Militare op. 34 für Harmonie und Janitscharen-Musik wohl einer abendlichen Aufführung im Freien zugedacht war.

Die Partitur des Erstdrucks von 1816 stellt das Notturno Militare op. 34 glanzvoll mit seinen Teilensembles vor, die für die Komposition maßgeblich und für die Besucher eindrucksvoll waren. Die Türkische oder Janitscharen-Musik bestand aus Schlagwerk und einer bzw. mehreren Piccoloflöten. Während die Piccolostimme in der Oktavversetzung mit der Klarinette geführt wird, kommt dem Schlagwerk die Aufgabe einer durchgängigen Rhythmisierung zu. Becken und eine große Trommel (Tamburro grande e Piatti) markieren den Takt, der Triangel repetiert in kleinen Notenwerten.

Die Harmoniemusik fordert paarweise besetzte Oboen, Klarinetten, Hörnern, Trompeten und Fagotte. Der Klarinette kommt dabei – unschwer zu erkennen – die führende Stimme zu. Hinzu traten mehrere Bläser, die das Bassregister im Hinblick auf die herausfordernde Akustik im Freien verstärken sollten: mit Basshorn, Kontrafagott und (Bass-)Posaune.

Der Aufzugsmarsch zu Beginn des mehrsätziges Werks bot also dem Fürsten Günther als begeistertem Basshorn-Bläser die Gelegenheit zur effektvollen und vom Publikum bewunderten Mitwirkung. Die Basshornstimme mit einem Ambitus von gut zwei Oktaven stellt keine virtuosen Anforderungen; beim Zählen der Pausen war gewiss auch der colla parte spielende Kontrafagottist behilflich. In den folgenden Sätzen findet das Basshorn im Leipziger Erstdruck von C. F. Peters keine weitere Erwähnung; partiturgemäß konnte der Fürst also ab dem zweiten Satz die Ovationen seiner Untertanen entgegennehmen.

Gänzlich anders waren konzertante Klarinettenstimmen beschaffen. Den Solokonzerten Spohrs haftet – nicht zuletzt durch die Vorrede des Komponisten zu op. 26 – der Nimbus des Unspielbaren an. Damit wird zum einen suggeriert, dass es für die Ausführung des Konzerts einen furchtlosen Spieler braucht, einen Iron Man, der riesige Distanzen im Tonumfang auch jenseits der Schneegrenze in einem Affenzahn überwindet, der teuflisch schwere Staccato-Passagen mit rasantem Zungenstoß bewältigt und der bei den wenigen Gelegenheiten, die sich zum Luftholen bieten, auch Perlentaucher sein könnte. Zum anderen wird naheglegt, dass der vergeistigt und weltabgewandt agierende Komponist, im schöpferischen Handeln profane Erwägungen rein praktischer Natur beiseite lässt und nur seinen Eingebungen gehorcht.

Spohr war Geigenvirtuose, sein größter Konkurrent Niccolò Paganini. Die Klarinettenkonzerte greifen auf hochvirtuose Geigentechnik zurück, große Intervallsprünge beispielsweise, das Spiel im Altissimo-Register, chromatische Passagen, schnelles Staccato, lange Trillerketten. Und dabei kann ein Geiger ganz entspannt atmen ...
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Notturno Militare op. 34 von Louis Spohr
Erstdruck von C. F. Peters, Leipzig 1816
Aus dem Bestand der Philharmonic Society New York
Sabine Meyer über Spohrs viertes Klarinettenkonzert
Video von Ryoto Akiyama und Fabian Everding
Leipzig 2021
Karl Leister über seine Einspielung der vier Klarinettenkonzerte Spohrs
Video von Heike Fricke
Berlin 2021
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