Spohr meets Hermstedt


In seinen 'Lebenserinnerungen' (1860) erzählt Louis Spohr von seinen Begegnungen mit Johann Simon Hermstedt an wechselnden Orten und von den unterschiedlichen musikalischen Herausforderungen – doch stets mit großem Respekt vor dem virtuosen Bläser und voller Dankbarkeit für die erfüllende Zusammenarbeit mit ihm. Diese 'Lebenserinnerungen' an Hermstedt aus drei Jahrzehnten sind meistens an Konzerte geknüpft, nur eine Schilderung betrifft einen Kompositionsauftrag. Und sie verorten den Komponisten und seinen Interpreten anschaulich im Musikleben ihrer Zeit.

1808 in Gotha

»In einem dieser Konzerte trat Herr Hermstedt, Direktor der Harmoniemusik des Fürsten von Sondershausen, als Klarinettist auf und erregte durch seine schon damals ausgezeichnete Virtuosität großes Aufsehen. Er war nach Gotha gekommen, um mich zu bitten, ihm ein Klarinettkonzert zu schreiben, wofür sein Fürst unter der Bedingung, daß Hermstedt es als Manuskript besitze, ein nicht unbedeutendes Honorar zu zahlen sich erbot. Ich ging gern auf den Vorschlag ein, da mir die immense Fertigkeit, welche Hermstedt neben schönem Ton und reiner Intoniation besaß, volle Freiheit gewährte, mich ganz meiner Phantasie zu überlassen. Nachdem ich mit Hermstedts Hilfe mich ein wenig mit der Technik des Instrumentes bekannt gemacht hatte, ging ich rasch an die Arbeit und vollendete sie in wenigen Wochen. So entstand das C-moll-Konzert, (einige Jahre später als Op. 26 bei Kühnel gestochen), mit welchem Hermstedt auf seinen Kunstreisen so großes Glück machte, daß man wohl behaupten kann, er verdanke ihm hauptsächlich seinen Ruf. Ich überbrachte es ihm selbst bei einem Besuch in Sondershausen zu Ende des Januars 1809 und weihete ihn in die Vortragsweise desselben ein. Bei dieser Gelegenheit trat ich in einem von Hermstedt veranstalteten Konzert auch als Geiger auf und spielte zum erstenmal mein Konzert in G-moll (Op. 28), welches erst einige Tage vorher fertig geworden war, und einen ebenfalls neuen Potpourri (Op. 24). Der Hofsekretär Gerber, Verfasser des Tonkünstler-Lexikons, berichtet darüber sowohl in dem genannten Werke unter dem Artikel Spohr, als auch in einem mit Begeisterung geschriebenen Aufsatze der Musikalischen Zeitung, welcher in Nummer 26 des elften Jahrganges abgedruckt ist. Der dritte Satz dieses Konzertes ist ein spanisches Rondo, dessen Melodien nicht von mir erfunden, sondern echt spanische sind. Ich erhorchte sie von einem bei mir einquartierten spanischen Soldaten, der zur Guitarre sang. Ich notierte, was mir gefiel, und verwebte es in mein Rondo. Um diesem dann noch mehr den spanischen Charakter zu geben, kopierte ich auch in der Orchesterpartie die Guitarrebegleitung, wie ich sie von dem Spanier gehört hatte.«
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1810 in Gotha und Bad Frankenhausen

»Kaum war die Komposition der ersten Nummern der Oper begonnen, als ich durch eine andre Arbeit wieder davon abgezogen wurde. Im Frühjahr kam nämlich der Kantor Bischoff aus Frankenhausen nach Gotha und trug mir die Leitung eines Musikfestes an, das er im Laufe des Sommers in der Kirche seines Ortes zu veranstalten gedachte. Bereits hatte er sich der Mitwirkung ausgezeichneter Sänger sowie der vorzüglichsten Mitglieder der in der Nähe befindlichen Hofkapellen der thüringischen Residenzen versichert und zweifelte daher nicht an einem höchst glänzenden Erfolge. Als der jüngste der Direktoren dieser Hofkapellen fühlte ich mich nicht wenig geschmeichelt, daß man mir die Leitung übertragen wollte, und sagte daher mit Freuden zu, obgleich ich noch nie ein so großes Orchester und Gesangpersonal, wie dort vereinigt werden sollte, dirigiert hatte. Meine eben begonnene Arbeit mußte ich nun auf einige Zeit zurücklegen, da Hermstedt mich dringend bat, ihm noch ein neues Klarinettkonzert für das Fest zu schreiben. Obgleich ungern in meiner Arbeit unterbrochen, ließ ich mich doch bewegen und beendete es auch zeitig genug, daß Hermstedt es unter meiner Leitung noch einstudieren konnte. Dieses erste Frankenhäuser Musikfest, das damals in der Musikwelt großes Aufsehen erregte und Veranlassung wurde, daß sich an der Elbe, am Rheine, in Norddeutschland und in der Schweiz Vereine bildeten, um ähnliche Musikfeste zu veranstalten, hat in Herrn Gerber, dem Verfasser des Tonkünstlerlexikons, einen so beredten Beschreiber gefunden, daß ich am besten zu tun glaube, wenn ich dessen Bericht (in der Musikalischen Zeitung, 12. Jahrgang, Nr. 47) wörtlich hier aufnehme:

»Am 20ten und 21ten Juni dieses Jahres feierte man der Tonkunst in der vier Stunden von Sondershausen liegenden schwarzburg-rudolstädtischen Stadt Frankenhausen durch Aufführung der Schöpfung von Haydn und eines großen Konzerts ein Fest, ebenso merkwürdig durch die so glücklich überwundenen mannigfaltigen Schwierigkeiten bei Veranstaltung des Ganzen als durch den hohen Grad der Vortrefflichkeit, mit der hier auf Tausende von Zuhörern von mehr als zwanzig Meilen im Umkreise gewirkt wurde. Da hier von einer Landstadt Thüringens die Rede ist, in der sich das Musikpersonal einzig auf den Stadtmusikus nebst seinen Gehülfen und das etwaige Singchor einschränkt, so muß allerdings die Verwunderung über die Möglichkeit eines solchen Unternehmens hoch steigen ...«
[...]

Dann fährt der Bericht [des Kantors Bischoffs zu Frankenhausen] fort:
»Diese schöne, zweckmäßige Stellung, wobei jeder Platz genug um sich und den Direktor beständig vor Augen hatte, trug unstreitig nicht wenig zu der nach einer einzigen Probe gelungenen Aufführung so großer, zum Teil neuer und höchst schwieriger Kunstwerke bei, wie besonders am zweiten Tag aufgeführt wurden.« Dies waren:
1) Eine große neue Ouvertüre fürs ganze Orchester (auch mit Posaunen) von Spohr. 2) Eine große italienische Szene für den Baß von Righini, welche Strohmeyer sang. 3) Ein neues vom Hrn. Spohr ausdrücklich für dieses Fest geschriebenes großes Klarinettenkonzert, welches Hr. Musikdirektor Hermstedt vortrug. Hierauf machte 4) Hr. Konzertmeister Fischer auf der vollen Orgel eine kunstvolle Einleitung zum 5) letzten Chor aus Haydns Jahreszeiten. Nach einer Pause von etwa fünfzehn Minuten folgte 6) ein Doppelkonzert für zwei Violinen, ebenfalls von Spohrs origineller Arbeit, durch Hrn. Spohr selbst und Hrn. Matthäi vorgetragen. Hierauf 7) ein großes Rondo aus einem Konzert D-dur von Hrn. Bernhard Romberg, durch Hrn. Dotzauers kunstvollen Vortrag, 8) die Symphonie aus C-dur von Beethoven, welche den Beschluß des Ganzen machte.« [...]

Das hierauf von Hrn. Musikdir. Hermstedt vorgetragene Klarinettenkonzert von Spohr aus Es, welches Hr. Spohr wenige Wochen vorher als sein zweites für dies Instrument geendigt und dem Fürsten von Schwarzburg-Sondershausen im Manuskript zugeeignet hatte, gehört unstreitig zu den vollendetsten Kunstwerken dieser Art. Eine große und brillante Behandlung des konzertierenden Instrumentes, verbunden mit einer ganz originellen Begleitung des Orchesters, wo gleichsam jede Stimme, selbst die Pauke, obligat ist, was aber deswegen auch ein um so geübteres, aufmerksameres Orchester erfordert, berechtigt zu dieser hohen Stelle. Besonders zeichnet sich der dritte, polonaisenartige Satz aus, wo man ungewiß bleibt, ob man mehr den Glanz der kunstvollen Solos oder die vortrefflich gearbeiteten Tuttisätze bewundern soll – in welchen letzteren die Blasinstrumente mitunter in wahre thematische Kämpfe miteinander zu treten scheinen. Überdies gewinnt dies Kunstwerk noch besonders durch den heitern Geist, der es durchaus beseelt. Die herrliche Aufführung dieses Konzertes machte dem Komponisten, dem Konzertisten sowie dem ganzen Orchester sehr viel Ehre; auch brachte sie Tausende von Händen der Zuhörer in die lebhafteste und anhaltende Bewegung. [...]

Außer dieser Symphonie hatte ich auch noch für das Musikfest auf Hermstedts unablässiges Drängen Variationen für Klarinette mit Orchesterbegleitung über Themen aus dem »Opferfest« geschrieben, die von demselben mit der gewohnten Virtuosität vorgetragen wurden. Auch diese Komposition (bei Schlesinger in Berlin, op. 80), die jene Themen mehr in freier Phantasie künstlich durchführt, als eigentlich variiert, fand bei den Musikern und Kennern großen Beifall.«
[auf ZENO nachlesen]

1811 in Hamburg

»Bei solchen Erfahrungen war es nun zwar dem alten Griesgram kaum zu verdenken, daß er auch meiner Oper keinen Erfolg zutraute, und das um so weniger, weil die beliebteste Sängerin seines Theaters nicht mitwirken konnte; daß er aber das Honorar dafür auszahlen und sie sogleich, ohne einen Versuch gemacht zu haben, beiseite legen wollte, empörte mich, und ich protestierte auf das entschiedenste dagegen. Endlich erhielt ich nach vielen Debatten Schröders Zustimmung, daß ich mit einer andern Sängerin, die bisher nur in kleinen Partien beschäftigt wurde, den Versuch machen durfte, ihr die von Madame Becker verweigerte Partie einzuüben. Ich fand bei dieser Sängerin, einer Madame Lichtenheld, viel guten Willen und glückliche Naturanlagen, und es gelang mir auch ganz gut damit, nachdem ich die schwierigsten Bravoursätze der Partie ihren Fähigkeiten angemessen vereinfacht hatte. So konnten denn endlich die Theaterproben beginnen, und nachdem Schröder eine davon angehört und sich davon überzeugt hatte, daß Madame Lichtenheld die Partie genügend würde geben können, wurde die erste Aufführung der Oper auf den 15. November 1811 angesetzt. Meine frühern Bekannten unter den Musikern, Romberg und Prell mit eingeschlossen, erboten sich sämtlich, in den beiden von mir zu leitenden Aufführungen im Orchester mitzuwirken. Auch Hermstedt, der nach Hamburg gekommen war, um unter meinem Schutz Konzert zu geben, schloß sich ihnen an und übernahm die erste Klarinettpartie, welche dankbare Solis und konzertierende Begleitung einer Sopranarie enthielt. Durch den Zutritt dieser ausgezeichneten Künstler wurde das Orchester bedeutend gehoben, und da die Sänger und der Chor ebenfalls gut eingeübt waren, so hatte ich schon in den Proben große Freude an der Genauigkeit, mit welcher meine Musik exekutiert wurde, und daher die beste Hoffnung, daß die Oper gefallen werde. [...]

Von dem Konzerte, welches ich im Verein mit meiner Frau und Hermstedt damals in Hamburg gab, erinnere ich mich nicht viel mehr, als daß letzterer auch dort durch seine ausgebildete Virtuosität großes Aufsehen erregte. Eine deutlichere Erinnerung habe ich aber noch von einem Konzerte in Altona, bei welchem wir wie auch mehrere unserer Hamburger Freunde mitwirkten, und in welchem uns allerlei kleine Unfälle begegneten, die später Stoff zu vielen Neckereien gaben. [...]

Nun folgte Hermstedt mit einer schweren Komposition von mir. Er, der sonst beim öffentlichen Auftreten mit der ängstlichsten Vorsicht zu Werke ging, hatte heute im tollen Übermut des Champagnerrausches ein neues, noch nicht erprobtes Blatt dem Mundstück seiner Klarinette aufgeschraubt und rühmte sich dessen auch noch gegen mich, als ich das Orchester bestieg. Mir ahnte gleich nichts Gutes. Nun beginnt meine Komposition mit einem lang ausgehaltenen Tone, den Hermstedt kaum hörbar ansetzte und nach und nach zu enormer Kraft anwachsen ließ, womit er stets große Sensation machte. Auch diesmal begann er so, und das Publikum hörte dem Anwachsen des Tones mit gespannter Aufmerksamkeit zu. Als er ihn aber zur höchsten Kraft steigern wollte, überschlug sich das Blatt und gab einen Mißton, ähnlich dem, wenn eine Gans aufschreiet. Das Publikum lachte, und der nun plötzlich nüchtern gewordene Virtuos wurde leichenblaß vor Schrecken! Doch faßte er sich bald und trug nun alles übrige in der gewohnten Vollendung vor, so daß ihm am Schluß ein enthusiastischer Beifall nicht fehlte.«
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1812 in Leipzig

»Im Herbst 1812 erbat ich für mich und meine Frau wieder Urlaub zu einer Kunstreise, der auch nach einigem Widerstreben von Seiten der Herzogin bewilligt wurde. Wir nahmen diesmal die Richtung nach Wien, als die vom Krieg und Truppendurchzügen am wenigsten beunruhigte. – Unser erster Aufenthalt war zu Leipzig, wo wir in einem Konzerte Hermstedts mitwirkten, und wo ich darauf mein neues Oratorium gab. Über beides berichtet die Musikalische Zeitung folgendermaßen:

»Das Konzert des Herrn Musikdirektor Hermstedt war schon von Seiten der aufgeführten Kompositionen eines der ausgezeichnetsten, die man hören kann. Bis auf die Ouvertüre von Mozart und die Szene von Righini waren alle Stücke vom Hrn. Konzertmeister Spohr, und, das Klarinettenkonzert abgerechnet, ganz neu geschrieben. Dies Konzert, das erste aus C-moll und als Komposition an sich wohl das trefflichste aller Konzerte für dieses Instrument, wurde auch diesmal mit großem Vergnügen gehört. Eine große Sonate für Violine und Harfe, gespielt von Herrn Spohr und seiner Gattin, deren erster Satz in Erfindung und Ausarbeitung meisterhaft genannt werden muß, deren zweiter in einem allerliebsten Potpourri aus glücklich zusammengestellten und sehr gefällig behandelten Melodien der ›Zauberflöte‹ besteht, – dieses sowie jedes der übrigen Stücke wurde mit dem lautesten Beifall aufgenommen. Wir hörten aber noch ein Violinkonzert, gespielt von Herrn Spohr, und ein Potpourri für die Klarinette mit Orchester. In jenem hat uns das erste Allegro, was Komposition und Vortrag anlangt, am wenigsten gefallen wollen: Es schien uns hin und wieder verkünstelt und überladen, auch für seinen Gehalt zu lang; der Vortrag des Virtuosen aber nicht überall klar und deutlich genug. Allein das Adagio gehört in Komposition und Vortrag unter das Allerschönste, was wir je auf diesem Instrumente gehört haben, und wir dürfen sagen, unter das Allerschönste, was je von einem Virtuosen geleistet worden ist. Das originelle Finale stand in beiden Hinsichten demselben nicht beträchtlich nach. Das Potpourri der Klarinette war nicht bloß aus Ideen des ›Opferfestes‹ sehr glücklich zusammengestellt, sondern diese Ideen waren auch meistens ganz vortrefflich verarbeitet; und so möchte es unter den Werken dieser Gattung wohl auch obenan stehen ...«
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1812 in Wien

»Unter den fremden Künstlern, die vor und während des Kongresses nach Wien kamen, waren auch drei meiner frühern Bekannten, die Herren Carl Maria von Weber, Hermstedt und Fesca. Weber spielte mit großem Beifall öffentlich und privatim und folgte dann einem Rufe als Operndirektor nach Prag. Hermstedt kam in einer Zeit, wo die Konzerte sich so drängten, daß er ein eignes nicht zustande bringen konnte. Er trat jedoch mit außerordentlichem Beifall in einem Konzerte des Flötisten Dreßler auf, in welchem er die Arie mit obligater Klarinette aus »Titus« begleitete und einen Potpourri von mir vortrug, den ich ihm soeben erst nach einer neuen Komposition für Harfe und Violine, die Hermstedt besonders gefiel, bearbeitet hatte. Beide Bearbeitungen sind später gestochen worden, die für Klarinette mit Quartettbegleitung als op. 81 bei Schlesinger in Berlin, die für Harfe und Violine als op. 118 bei Schuberth in Hamburg. [...]«
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1815 in Bad Frankenhausen und Bad Gandersheim

»So wie überhaupt unsre heutige Musik mit mehr Beifall aufgenommen wurde wie die gestrige ernstere, so hatte sich mein Konzert eines ganz besondern Beifalls des Publikums zu erfreuen. – Italienische Arie von Paër, gesungen von Herrn Strohmeyer. Diese Arie ist aus einem Oratorio, genannt »la religione«, wenn ich nicht irre, aber in einem so trivialen Stil geschrieben, daß man sie mit verändertem Texte recht gut in eine Opera buffa einlegen könnte. Während die Religion, die personifiziert singt (die wohl auch schicklicher Sopran statt Baß sänge), sich in den allergewöhnlichsten neuitalienischen Melodien, Rouladen und Sprüngen herumtreibt, brüllt der Chor sein »Santa« im unisono ff dazwischen, wie man etwa eine Räuberbande würde singen lassen: »Steh, das Leben oder die Börse!« Das Publikum, das nicht wußte, daß diese Arie in ein Oratorium gehört, war sehr wohl damit zufrieden, da sie Herrn Strohmeyer Gelegenheit gab, seine schöne Stimme und die Geläufigkeit seiner Kehle zu hören zu geben. – Adagio und Potpourri für Klarinette von mir, geblasen von Herrn Hermstedt, mit vielem Beifall aufgenommen. Doch fand ich und auch mehrere andere Musiker, die sich gegen mich darüber äußerten, daß Hermstedt, ob er gleich im Mechanischen noch immer Fortschritte macht, doch seinen Geschmack immer noch nicht sehr ausgebildet hat, und selbst meine Sachen, die ich ihm früher einstudiert habe, wenn er sie eine Zeit lang für sich studiert, in einem so bizarren, ich möchte sagen, verbildetem Geschmacke vorträgt, daß man von dem ursprünglichen Geiste der Komposition wenig erkennt. Seine mechanische Fertigkeit ist seiner Bildung als Künstler überhaupt vorausgeeilt, und er könnte das Mißverhältnis nur durch fortgesetzten Aufenthalt in einer großen Stadt, wo der gute Geschmack zu Hause wäre, aufheben. [...]

Vor diesem Liede präludierte Herr Methfessel auf der Orgel, aber nicht sehr sonderlich. Viel reicher entfaltete sich Methfessels schönes Talent als Liederkomponist und Liedersänger nach unsern geselligen Mittags- und Abendmahlzeiten, wo er die Gebildeten der anwesenden Musiker und Musikfreunde durch ernste und komische Gesänge mit Klavier- und Guitarrenbegleitung unterhielt und erfreute. Sein musikalischer Witz und seine Launen sind wirklich unerschöpflich. Bei einer frühern Reise mit Hermstedt hatte er mehrere seiner Lieder mit obligater Klarinettbegleitung versehen, von diesen gaben sie uns einige zu hören, die eine herrliche Wirkung machten und alle Zuhörer entzückten. [...]

Ehe ich von Frankenhausen scheide, muß ich mich dankbar der als Künstler hier so genußreich und glücklich verlebten Stunden bei diesem und den zwei frühern Musikfesten erinnern. Sie waren mir Veranlassung, einige meiner größesten Kompositionen zu schreiben, z.B. »das jüngste Gericht«, die Sinfonie in Es # und mehrere Sachen für Hermstedt. Sie verschafften mir die persönliche Bekanntschaft aller in Thüringen und Sachsen wohnenden vorzüglichen Künstler und gewährten mir durch das Zusammenwirken dieser Künstler einen Genuß, den ich selbst in Wien nicht einmal wiedergefunden habe.
Gotha, den 28. Oktober [1815]«
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1821 in Bad Gandersheim

»Ich erhielt nämlich von meinem alten Freunde Hermstedt einen Brief, in welchem er mich namens der Badeverwaltung des Alexisbades im Harz aufforderte, im Laufe der bevorstehenden Saison ein Konzert daselbst zu geben, wobei er sich erbot, alles dazu Erforderliche im voraus zu besorgen, damit ich dort nicht länger als einige Tage zu verweilen brauchte. Auch bat er mich dringend, ihm ein neues Klarinettkonzert zu schreiben, und versprach, wenn er es früh genug erhalte, dasselbe im Konzerte zu Alexisbad zum ersten Male vorzutragen. Da ich gern für Hermstedt schrieb, der damals ohne Zweifel der vorzüglichste aller lebenden Klarinettvirtuosen war, so ging ich auf den Vorschlag ein und machte mich sogleich an die Arbeit. Nach Absendung des neuen Konzerts (des dritten für Klarinette) schrieb ich für mich und meine Frau auch noch einen Potpourri für Violine und Pianoforte, konzertiernd über zwei Themen aus dem »Opferfest«, später als Op. 56 gestochen, wozu ich eine frühere Komposition für Klarinette mit Orchesterbegleitung bearbeitete, die ich 1812 zur Napoleonsfeier in Erfurt für Hermstedt geschrieben hatte. Ich hielt diese frühere Komposition für eine meiner gelungensten und wünschte, sie daher durch diese neue Überarbeitung bekannter zu machen. Daß bei dieser Übertragung von Klarinette und Orchester auf Violine und Pianoforte wesentliche Veränderungen stattfinden mußten und ich mich hauptsächlich nur an die Form und Modulationen der frühern Komposition halten konnte, versteht sich von selbst. Als nun auch diese Komposition von uns in gewohnter Weise auf das sorgfältigste eingeübt worden war, kam der verabredete Zeitpunkt zur Reise nach Alexisbad heran. Von dieser Ausflucht habe ich aber nur noch eine dunkle, halbverwischte Erinnerung. Ich weiß weder, was wir in dem Konzerte vortrugen, noch wie mir das neue Klarinettkonzert gefiel, und dies um so weniger, da ich dasselbe seit jener Zeit nicht wieder gehört habe, denn es ist, da Hermstedt im alleinigen Besitze war, nie veröffentlicht worden. Um so deutlicher erinnere ich mich aber eines Naturereignisses, wodurch das Konzert, ähnlich wie jenes in London durch das Einwerfen der Fenster, gestört und auf einige Zeit unterbrochen wurde. Wie nämlich eben mit der Musik begonnen werden sollte, brach ein Gewitter, welches schon seit Mittag gedrohet hatte, mit solcher Heftigkeit los, daß man vor dem Geprassel des Donners und dem Rauschen des in Strömen herabstürzenden Regens nichts von der Musik gehört haben würde. Das eng zusammengedrängte Auditorium mußte daher in dem überfüllten und zum Ersticken heißen Saale ruhig das Vorüberziehen des Gewitters abwarten, und das Konzert konnte dann erst beginnen, nachdem zuvor die Luft im Saale durch Öffnen der Türen und Fenster erneuert worden war. Es endete daher erst beim völligen Anbruch der Nacht. Nun wurde aber die Verwirrung und Verlegenheit erst recht groß, denn es fand sich, daß das sonst sehr bescheidene Flüßchen, welches das Tal von Alexisbad durchströmt, so angeschwollen war und die Wege dermaßen überschwemmt und verwüstet hatte, daß die zahlreichen Zuhörer aus der Umgegend in der finstern Nacht unmöglich nach Haus zurückkehren konnten. Es strömte daher alles fürs erste in den Speisesaal, wo aber für so viele Gäste nicht angerichtet war. Während nun die Badegäste erst auf ihre Zimmer gegangen waren, bemächtigten sich die Fremden der Plätze am Tische sowie der Speisen, und es blieb für jene, als sie zurückkehrten, nur das Nachsehen. Das gab dann natürlich viel böses Blut, und der Wirt hatte seine liebe Not, die Leute zu beschwichtigen. Nun fehlte es für das Übernachten aber auch an Zimmern und Betten, und es mußten sich die Fremden wohl oder übel bequemen, auf einer Streu bunt durcheinander Platz zu nehmen. Viele taten es mit Lachen, andere aber nur mit schwer unterdrückten Flüchen. Es war für den unbeteiligten Zuschauer eine höchst komische und amüsante Szene.«
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1829 in Kassel und Nordhausen

»Da es mit der Verbreitung meiner Opern auf andern Theatern nicht recht glücken wollte, wandte ich mich wieder der Kirchenkomposition zu und schrieb im Frühjahre 1829 mein Vaterunser nach dem Mahlmannschen Text.

Am [11. und] 12. Juni gab es wieder ein Musikfest in Nordhausen, zu welchem ich ebenfalls eingeladen wurde. Vom ersten Tage desselben habe ich jedoch keine deutliche Erinnerung mehr, weiß aber noch, daß ich am zweiten Tage mit Müller aus Braunschweig, Wiele von hier und Maurer von Hannover des letztern Concertante für vier Violinen spielte. Für mich selbst wählte ich dabei die vierte Partie, weil meine Stradivari-Geige einen besonders guten Ton auf der G-Saite hat, und da wir das berühmte Musikstück sehr genau zusammen eingeübt hatten, so war der Beifall ein ganz ungewöhnlicher! Nicht mindern Anklang fand auch mein neues Klarinettkonzert in E-moll, welches ich für Hermstedt zu diesem Musikfeste geschrieben hatte, das ich aber selbst gar nicht mehr besitze, und wovon ich jetzt nicht einmal mehr weiß, ob es noch existiert. Während unsres Aufenthaltes in Nordhausen wohnten wir im Hause des Kaufmanns Fleck, dessen Gattin eine sehr liebenswürdige Wirtin war, wodurch Eduard Grund, mein ehemaliger Schüler, sich veranlaßt fand, beim Mittagsmahl einen Toast auf dieselbe auszubringen, und dabei die Bemerkung einfließen ließ, daß sie »nichts weniger als ein Fleck in der menschlichen Gesellschaft, sondern eher ein Lichtschimmer oder eine Sonne zu nennen sei.« Auch erinnere ich mich noch mit Vergnügen des vom schönsten Wetter begünstigten Festes, welches die Nordhäuser auf einem nahegelegenen Berge, von wo man die Stadt übersehen konnte, den fremden Gästen gaben. Die mitgebrachten Vorräte wurden auf dem Rasen ausgebreitet, und da es dabei an guten Weinen auch nicht fehlte, so wurde die Gesellschaft bald sehr fröhlich und kehrte in bester Laune nach der Stadt zurück.«
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1837 in Kassel

»Kurze Zeit nachher bekam ich einen Brief von Hermstedt, worin er im Auftrag der Fürstin von Sondershausen mich aufforderte, Lieder für eine Sopranstimme mit Klavier- und Klarinettbegleitung für die selbe zu schreiben. Da mir diese Arbeit sehr zusagte, so komponierte ich im Verlauf einiger Wochen sechs Lieder dieser Gattung (Op. 103, Leipzig, Breitkopf und Härtel), die ich der Fürstin auf ihren ausdrücklichen Wunsch dedizierte, worauf ich einen kostbaren Ring von ihr zum Geschenk erhielt.«
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Louis Spohr's Selbstbiographie
2 Bde. Kassel 1860–1861
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